17. Müsy

 

Müsy saß auf einer dottergelben Blume mit einem Kranz weißer Blütenblätter und schaukelte sachte hin und her. Die Sonne wärmte ihre runden Öhrchen und ihren grauglänzenden Mausepelz. Ihre schwarzen Augen waren geschlossen, und ihr Schwänzchen ringelte sich um den Stängel der Blume.
Da flatterte plötzlich ein großer Zitronenfalter heran, fasste Müsy und flog mit ihr davon, immer weiter, weiter — „Müsy!“ quiekte Schoggel, „Müsy!“ — „Was hast du denn, Schoggel?“ fragte Mama Salamine und stupste ihn mit der Schnauze an. Schoggel blinzelte mit den Augen, gähnte und piepselte: „Müsy!“ Dann richtete er sich im Nest auf und sah sich erstaunt um. „Wo hat der Falter Müsy hingebracht?“ — „Du hast geträumt, Schoggel!“ sagte Mama Salamine, „roll’ dich ein und schlaf weiter!“
Schoggel aber konnte nicht mehr einschlafen. Immerzu musste er an den Zitronenfalter und an seine Freundin Müsy denken. Er hatte sie schon so lange nicht mehr gesehen. Am besten würde er sie jetzt gleich besuchen, jetzt in der Morgendämmerung, da war der Friedhof, wo Müsy wohnte, still und menschenleer.
Gedacht, getan. Der Mond schien schräg durch die Friedhofssträucher und warf düstere Schattenschlangen über die Gräberwege, als Schoggel durch die Friedhofshecke geschlüpft war. Ängstlich sicherte er nach allen Seiten — es gab ja so viele Bösewichter, Katzen, Eulen, Marder — Schoggel rannte zu dem Komposthaufen mit Müsys Nest, als wären bereits alle Bösewichter hinter ihm her.
Müsy freute sich so sehr über seinen Besuch, dass sie einen Purzelbaum schlug. Es gab viel zu erzählen — von der weißen Gespenstermaus und dem grünen Untier. Müsy berichtete, dass ein Mensch neben dem Friedhofsbrunnen eine tiefe Grube ausgeschaufelt habe und dabei ihren lieben Onkel Mausmops mit der Schaufel erschlagen habe — sie weinte ein bisschen. Schoggel wischte ihr mit seiner Schwanzquaste die Tränen ab und schlug vor, spazierenzugehen.
Sie krabbelten aus dem Kompost, schüttelten sich die welken Blumenblätter aus dem Fell und marschierten los. Erste Station war eine alte Buche, wo sie ein paar Bucheckern knabberten; dann spielten sie um einen Grabstein Nachlaufen und schließlich hatte Müsy die Idee, mit den weißen Kügelchen des Knallerbsenbusches Fußball zu spielen.
Der Knallerbsenbusch stand am Hinterausgang des Friedhofs.
Der Himmel hatte sich mittlerweile schon aufgehellt, der Mond war schlafen gegangen, und die Vögel waren aufgewacht.
Schoggel rannte voraus, weil er riesig Lust auf Fußball hatte. Da hörte er plötzlich ein Zischen, einen jämmerlichen Quieker, drehte sich hastig um und sah gerade noch, wie Müsy von einem großen Vogel hochgerissen und davongetragen wurde. Schoggel war erstarrt, mit aufgerissenem Schnäuzchen blickte er hinter dem Vogel her. Der aber flog in den hellen Himmel, immer weiter.
Schoggel kroch unter eine Baumwurzel, legte seine Pfötchen über die Augen und weinte, zitterte und weinte.
Am nächsten Abend kam Mehlinchen in den Schuppen gestürzt, und schon von draußen gellte sein Stimmchen: „Müsy — Müsy ist wieder da!“ — „Wie das?“ fragte Papa Korno, „ich denke, der Falke hat Müsy geholt?“ — „Nein — ja — nein“, haspelte Mehlinchen aufgeregt, „drei Krähen haben den Falken angegriffen, hoch oben in der Luft, und da hat der Falke Müsy fallen lassen, und Müsy ist in eine tiefe Pfütze gefallen — und herausgeschwommen ...!“
Schoggel schnaufte, sagte aber keinen Piepston. Der Zitronenfalter aus seinem Traum kam ihm in den Sinn; er hatte Müsy weggetragen — wie der Falke. Doch — Müsy war wieder da!
 

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