Mai


Einen Holunderbusch lang
ist mein Leben,
erst ein Stengel
im hohen Gras,
und Jahre dann
zwei, drei Ruten streben
hinauf an dem schattigen Heckenhang.

Bedrängt von Hasel
Weißdorn und Schleh',
von Zaunrübenranken umnetzt,
wird manche meiner
Grünfingerhände
von Sturm und Hagel zerfetzt.

Und doch tritt ein Mai
in mein Leben hinein,
da schlag' ich die Augen
zum Himmel auf,
um meinen Körper
Dolden schweben und strömen
den wilden Hang hinauf.

In sonniger Milde
wölb' ich mich rund,
und weichen Regen
trinkt mein Mund;
Platz schaff ich mir
im Heckenland,
und wuchert auch Hasel,
strotzt Schlehe dort,
im Mai bin ich
der Wollust Hort.

Sie schwingt sich aus
in saftigen Beeren,
die sich in zahllosen
Sommern mehren.

Kracht dann die Axt,
zehrt mich die Glut -
mein Leben war
doldenreichbeerengut.


von Marie Winkel

aus Band 3

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