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			 21.  Gefahr 
			auf dem Friedhof 
			  
			Es 
			war kurz nach Mitternacht. Ein großer dunkler Vogel flog durch die 
			Kronen der Friedhofsbäume, glitt in lautlosem Tiefflug über eine 
			Gräberreihe und landete auf einem kahlen Eichenast. Gegen den 
			Vollmond hob er sich stattlich ab: Tyto, der alte Eulenmann. 
			„Chrrüh, chrrüh“ schallte es klagend durch die kalte Nachtluft, 
			„chrrüh !“ 
			Die Eule schloss schläfrig eines ihrer kreisrunden Augen, riss dann 
			aber plötzlich beide Augen weit auf: Was war das? Schon jahrelang 
			jagte sie nachts im Mondschein auf dem Friedhof. Doch noch nie hatte 
			sie einen Geist gesehen. Dort auf dem Grabstein, der weiße 
			Marmorengel, er bewegte seine Hand! Eulen fürchten sich nicht vor 
			Geistern und schon gar nicht vor Engeln. Die Eule Tyto verharrte 
			reglos — die Hand des steinernen Engels richtete einen weißen Daumen 
			auf — die Eule flog näher und glitt dicht über den Engel hinweg — 
			„chrrüh“ schrie Tyto — und die Hand erstarrte.  
			Tyto flog im Bogen auf die Eiche zurück und kniepste mit ihren 
			runden Augen. Tyto war schon sehr alt und brauchte etwas länger, um 
			seine Gedanken zu ordnen. Denn was er auf der Hand des Engels 
			gesehen hatte, dieser Daumen, der sich bewegte, war — ja —es 
			durchfuhr die alte Eule — das war ja gar kein Daumen — es war eine 
			Maus! Eine Maus, so weiß wie der Marmorengel, die auf der Steinhand 
			saß und sich im Mondlicht aufrichtete und putzte. 
			Die alte Eule kreischte laut, als sie ihre Gedanken so geordnet 
			hatte. „Chrrüh“, kreischte sie, schwang sich vom Eichenast hin zum 
			Marmorengel, ihre Krallenfüße streiften die Engelshand — und nach 
			wenigen Sekunden war die weiße Maus verspeist.  
			In der vierten Nacht nach diesem Ereignis kam Zucko ins Schuppennest 
			der Familie Mausekatz zurück und quiekte: „Jetzt liegen schon drei 
			Walnüsse vor dem Nest der weißen Maus, und die frisst sie nicht. Ich 
			habe ihr heute die vierte gebracht, aber sie ist nie zu Hause!“ — 
			„Vielleicht ist sie die ewigen Walnüsse leid?“ meinte Kässy 
			nachdenklich, „oder sie...“, sie konnte nicht weiterquieken, denn in 
			diesem Augenblick schoss ein großer Mäuserich zum Schuppenloch 
			herein. Er keuchte laut, und als er endlich zu Atem kam, prustete er 
			los: „Das war knapp! Eine Eule — auf dem Weg zum Friedhof — beinahe 
			hätte sie mich erwischt!“ Familie Mausekatz erkannte in dem Fremden 
			Herrn Mäusemeyer aus dem Gasthaus mit dem Viezfass.  
			Herr Mäusemeyer berichtet, dass er auf der Suche nach seinem Sohn 
			Naggy sei, der vor ein paar Tagen zum Friedhof gelaufen sei und 
			nicht mehr zurückgekommen sei. Papa Korno und Mama Salamine sahen 
			ihn betroffen an und schwiegen. Mehlinchen aber piepste: „Ui, den 
			Naggy hat sicher ein Falke geholt!“ — „Halt dein Schnäuzchen !“ 
			flüsterte Mama Salamine, doch Herr Mäusemeyer sah Mehlinchen mit 
			großen traurigen Augen an. „Die Kleine hat wohl recht“, sagte er. 
			„Wahrscheinlich ist mein Naggy gefressen worden — nicht von einem 
			Falken, aber von der Eule!“  
			Dicke Tränen kullerten über Herrn Mäusemeyers Nase, und Papa Korno 
			legte ihm die Pfote auf die Schulter. Mama Salamines Schnurrbart 
			zitterte.  
			Zucko und Kässy aber richteten sich plötzlich auf und quiekten wie 
			aus einer Schnauze: „Die weiße Maus — wir haben sie seit Tagen nicht 
			mehr gesehen — vielleicht hat die Eule auch sie — auch sie geholt!“ 
			Kein Piepser war mehr zu hören. Die Mäuse verkrochen sich hinter dem 
			Holzstoß und kauerten sich zu einem großen Mäuseklumpen zusammen. 
			 
  
			
			              
			
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