11. Der
Mausriese
Schoggel war immer ein kleiner
Schlampsack gewesen. Wie oft hatte ihn
Papa Korno schon vergeblich ermahnt,
sich das Fell zu bürsten und die
Füße zu lecken; und seine Nagezähne
waren gelb wie Butterblumen.
Doch seit ein paar Tagen war
Schoggel völlig verändert.
Es fing damit an, dass er vor
jeder Pfütze stehen blieb, um sich
darin von allen Seiten zu betrachten.
Dann beobachtete ihn Zucko, wie er
in einer sonnigen Ecke des
Kellerfensters saß und sich ausgiebig
die Schwanzquaste kämmte. Und seine
Butterblumenzähne waren plötzlich weiß wie
Gänseblümchen.
„Er ist verliebt!“ meinte Kässy, und
da erinnerte sich Mehlinchen, dass sie
Schoggel vor zwei Tagen gesehen hatte,
als er mit einem fremden Mausemädchen
im Möhrenbeet saß.
Das war eine interessante Neuigkeit,
und Papa Korno schmunzelte.
Schoggel aber kümmerte sich nicht um
das Getuschel, sondern suchte in einem
Kartoffelhaufen nach einem Stück Schokolade
in Silberpapier, das er dort versteckt
hatte. Als er es gefunden hatte,
leckte er den Kartoffelstaub säuberlich
ab, so dass das Silberpapier wieder
glänzte, und trug seinen Schatz
vorsichtig zwischen den Zähnen die
Kellertreppe hinauf in den Hausflur.
Dort kroch er hinter einen Blumenstock
und wartete. Sein Herz klopfte und
seine Schwanzquaste zuckte unruhig.
Ob sie wohl kam? Sie, für die
er das Schokoladenstück schweren Herzens
aufgehoben hatte. Wenn sie wüsste, was
dies für ein Opfer für ihn war!
Schoggel wartete geduldig. Sie hatte
ja versprochen zu kommen. Und es
war ein weiter Weg vom Friedhof
bis hierher. Und schließlich wohnte
sie ja im Komposthaufen des alten
Friedhofes.
Schoggel hörte ein Kratzen. Er lugte
hinter dem Blumenstock hervor und sah,
wie sich das Flurfenster langsam
öffnete. Oh, sie kam!
Er freute sich schrecklich und bekam
vor Aufregung heiße Ohren. Doch
— die
Schnauze blieb Schoggel offen vor
Verblüffung —
was war das? Das war nicht
Müsy, seine neue Freundin, was sich
da durchs Flurfenster schob.
Eine riesige Maus stand im vollen
Mondlicht auf der Fensterbank. Schoggel
hielt den Atem an. Solch eine
große Maus hatte er noch nie
gesehen. Papa Korno war ein Winzling
gegen sie. Sie war sicher zehnmal
so groß, ja
— beinahe
so groß wie die kleine schwarze
Katze, die gestern durch den Garten
geschlichen war; und sie war auch
genau so schwarz.
Der Mausriese stand auf der
Fensterbank und schaute mit blitzenden
Augen in den dunklen Flur. Deutlich
sah Schoggel rechts und links von
der rosa Schnauze zwei spitze weiße
Zähne herausragen.
Irgendwie bekam er Angst. Er rührte
sich nicht. Der Riese aber hob
den Kopf und schnupperte mit zuckender
Nase in den Hausflur. Gerade setzte
er an, um auf den Boden
herabzuspringen, da klappte im Haus
eine Tür
— und der
Riese war verschwunden.
Schoggel begann plötzlich zu zittern
und hatte das Gefühl, einer großen
Gefahr entgangen zu sein. Er war
so verwirrt, dass er den Grund
für seinen Aufenthalt im Hausflur
vergaß und zurück ins Nest lief.
Als er dort von seinem Erlebnis
berichtete —
seine Stimme war noch ganz heiser
vor Erregung
— schauten
sich Mama Salamine und Papa Korno
sehr ernst an und sagten wie aus
einer Schnauze: „Da hast du aber
Glück gehabt, Schoggel!“
Und Papa Korno fügte hinzu: „Dieser
Riese, dieser Mausriese, den du
gesehen hast, war keine Maus. Das
war eine Ratte! Und wenn die
dich erwischt hätte...!“ Mama Salamine
nickte: „Ja, meine Großtante Brötli
wurde von einer Ratte totgebissen!
Ratten verachten uns Mäuse. Sie sind
stark, heimtückisch und rücksichtslos. Ich
habe gehört, dass sogar der Kater
ihnen aus dem Wege geht!“
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