12. Kässys
Abenteuer
Jedes
Jahr an Allerheiligen kam ein alter Maronimann nach Apfelborn. Am
frühen Abend, wenn die Leute auf den Gräbern die Lichter anzündeten,
stand er mit seinem Räderkarren vor dem Friedhofstor und verkaufte
geröstete Maronen.
Der Duft der heißen Früchte zog verführerisch über den Friedhof und
dort direkt in die Nase von Schoggel, der am Friedhofskomposthaufen
bei seiner Freundin Müsy zu Besuch war. Schoggel sog den Duft ein,
machte Männchen und quiekte: „Ich muss schnell nach Hause und es
Kässy sagen, sie frisst furchtbar gerne Maronen, fast noch lieber
als Käse!“
Kässy rannte gleich los, als sie vom Maronimann hörte, und wäre auf
der dämmrigen Straße um ein Haar unter ein Fahrrad gekommen; sie
spürte den Windzug des Reifens an ihrem Nackenpelz. Als Kässy in die
Nähe des Friedhofs kam, sah sie, das noch viel zu viele Menschen
unterwegs waren und sie wohl noch längere Zeit warten müsse, bis sie
zur Festtafel gelangte.
Die Festtafel, das waren all die Maronenschalen, die überall auf dem
Boden an der Friedhofsmauer herumlagen und in denen häufig noch ein
leckerer Rest Maronenfleisch zu finden war.
Kässy hockte sich unter einen Erikabusch und wartete. Sie fror
jämmerlich, denn ein wilder Herbstwind fegte durch die Büsche und
eiskalter Regen perlte über ihr Fell.
Es dauerte ewig, bis das Getrappel der Menschenfüße weniger wurde
und die Menschenstimmen sich allmählich verloren; der Maronimann
ließ seinen Ofen schon ausbrennen und begann, seinen Karren dicht zu
machen.
Mit halberfrorenen Pfötchen wagte sich Kässy endlich aus ihrem
Versteck, drückte sich im Schatten der Friedhofsmauer entlang
— und fand die ersten
Maronenschalen. Sie knusperte sich immer weiter vor, und als der
Maronimann sich eben anschickte, seinen Karren wegzuschieben, war
Kässy hinter ihm angelangt.
Eine herrliche Wärme ging von dem heißen Röstofen aus, und plötzlich
— Kässy wusste später
nicht, woher sie den Mut genommen hatte
— plötzlich sprang
Kässy auf ein Rad des Karrens und von dort auf einen Packen
Papiertüten neben dem Bratrohr. Das Papier war wohlig warm, und
Kässy wühlte sich in die Tüten. Sie nagte ein wenig daran herum
— und ließ sich von
dem Maronimann spazierenfahren.
Das war ein ganz neues Gefühl für Kässy, gefahren zu werden. Der
Blechkarren rumpelte über die Dorfstraßen und einen gepflasterten
Bürgersteig, und Kässy wurde in ihrem Tütenpacken tüchtig
durch-geschüttelt. Da machte es plötzlich rums, der Karren stand
still, und die Schritte des Maronimanns entfernten sich.
Kässy lugte aus einem Tütenloch heraus, das sie genagt hatte, und
sah sich in einem dunklen Schuppen. Sie hüpfte auf den Boden und
horchte. Sie hörte ein leises Gluckern und Gackern und den Regen,
der auf das Schuppendach prasselte. In einer Ecke fand sie einen
Sack mit Hühnergerste
— und fraß und fraß,
bis sie sich kaum noch bewegen konnte. Nach einem kleinen Schläfchen
wollte sie den Heimweg antreten.
Sie hatte gerade die Augen zugemacht, als sie das Gefühl hatte,
nicht allein im Raum zu sein. Irgendetwas war unhörbar an ihr
vorbeigeschlichen. Kässy duckte sich ganz klein hinter den
Gerstensack und blinzelte ins Finstere. Da
— etwas Weißes
verschwand gerade hinter einem Gerümpelhaufen
— jetzt schien es in
der Mitte des Schuppens zu schweben, regte sich nicht
— und war plötzlich
weg.
Kässy schauderte. Sie dachte an die Geschichten, die Onkel Mausbert
von Opa erzählt hatte, der auf einem alten Burgspeicher gewohnt
hatte. Gespenster hatte es dort gegeben.
Kässy war sich plötzlich ganz sicher, dass das Weiße ein Gespenst
gewesen war. Ihr Mauseherz stand still
— und dann rannte
Kässy los. Wie von 100 Katzen gejagt, sauste sie aus dem Schuppen.
Aber wohin?
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