13.  Das Gespenst

 

Als Kässy voller Angst aus dem Schuppen rannte, in dem sie das Gespenst gesehen hatte, platschte sie im Dunkeln in eine Regenpfütze. Mit Mühe rettete sie sich heraus und suchte im eisigen Wind den Heimweg. Ihr nasses schütteres Fell schützte sie nicht vor der Kälte, und als sie endlich nach vielen Irrwegen im Nest hinter dem Viezfass angelangt war, hatte sie Schüttelfrost und ihre Augen glänzten fiebrig.
Tagelang lag Kässy schwerkrank im Nest, und die ganze Familie Mausekatz saß um sie herum und hörte sie im hohen Fieber quieken: „Das Gespenst! Da kommt — das Gespenst!“ und wieder: „Das Gespenst! Dahinten ist es!“
Papa Korno konnte das Gespenstergerede gar nicht begreifen, und sobald es Kässy wieder besser ging, fragten die Eltern sie aus, wo sie gewesen sei. Und sie erfuhren die ganze Geschichte.
Mama Salamine meinte: „Unfug! Gespenster gibt es nicht! Das hast du dir eingebildet oder du hast geträumt.“
Kässy wehrte sich, und Papa Korno sagte plötzlich: „Wisst ihr was, wir gehen heute nacht einfach alle zu dem Schuppen, in dem Kässy war, und schauen nach!“
Und als es stockfinster war
eine stille mondlose Nacht , machte sich die Mausekatzfamilie auf den Weg.
Zum Glück war Apfelborn kein großes Dorf, und der dritte Schuppen, zu dem sie hinliefen, wurde von Kässy als der richtige wiedererkannt. Die ganze Familie Mausekatz schlich mausestill in den Schuppen und legte sich hinter dem Gerstensack auf die Lauer.
Die Hühner im Stall nebenan gluckerten und gackerten manchmal im Schlaf, sonst war alles totenstill.
Das Licht einer Straßenlaterne warf einen fahlen Schein durch das Schuppenfenster
und nein, das konnte doch nicht wahr sein! Papa Kornos Augen weiteten sich vor Schreck: An der gegenüberliegenden Schuppenwand erschien lautlos etwas Weißes. Das Gespenst!
Alle starrten reglos hin. Das Gespenst bewegte sich hin und her
bis plötzlich etwas zu Boden schepperte. Das Gespenst hatte offenbar etwas heruntergestoßen. Seltsam! Papa Korno überlegte fieberhaft.
Doch, oh weh, das Gespenst kam jetzt näher, es kam auf sie zu! Im Rückwärtsgang krochen alle Mäuse in die hinterste Ecke des Schuppens. Das Gespenst hielt geradewegs auf den Gerstensack zu. Am Ende hatte es sie bemerkt!
Sechs Mauseherzen klopften zum Zerspringen. Diese Angst! Wären sie doch nur zu Hause geblieben!
Das Gespenst machte sich am Gerstensack zu schaffen. Mama Salamine schaute sehr vorsichtig hinter einem Holzstoß hervor, schaute ganz genau hin
und brach plötzlich in ein lautes Gelächter aus : „Quiekhi, hihi, quieeekhahaha!“ Das Gespenst machte einen Luftsprung und hopste mit wilden Sätzen aus dem Schuppen.
„Wir sind vielleicht dumm! Hihi!“ quiekte Mama Salamine. « Wisst ihr, was das war
euer Gespenst!? Quiekhahaho !“ Mama Salamine platzte fast vor Lachen, und alle Mäuse sahen sie entgeistert an. “So red’ schon, Salamine!“ sagte Papa Korno etwas ungehalten.
„Euer Gespenst, euer Gespenst war eine weiße Maus !!!“
Eine weiße Maus! Natürlich, deshalb leuchtete sie im Dunkeln im Licht der Straßenlaterne!
„Und warum ist das Gespenst dann auf uns zugekommen und wollte uns holen?“ fragte Mehlinchen.
„Das wollte uns gar nicht holen! Das wollte nur an den Gerstensack, Gerste fressen, du Dummerchen!“ quiekte Papa Korno und bekam einen Lachanfall.
Nachdem Familie Mausekatz die überstandene Angst durch eine ordentliche Gerstenkornmahlzeit wettgemacht hatte, tippelten alle sechs satt und zufrieden zurück ins Nest.

 

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