23.  Katzenkunde

 

Alle Mausekinder hatten es furchtbar gerne, wenn Papa Korno aus seiner Kindheit erzählte. Das geschah nur selten, aber wenn — dann saßen die Mausekinder aufgereiht und mäuschenstill im Nest und spitzten die Ohren.
An einem sonnigen Wintertag hatte Papa Korno auf dem Feldweg hinter dem Schuppen einen Haufen sehr junger Menschen mit einem einzigen alten Menschen voran vorbeiziehen sehen und zu Mama Salamine gesagt: „Salamine, das war bestimmt eine Schulklasse mit ihrem Lehrer! — Ach, weißt du noch, wie es früher in unserer Schule war !?“ — „Oh ja, Korno !“ säuselte Mama Salamine, „damals, als wir uns kennenlernten, meinst du?!“
Schoggel und Kässy hatten hinter dem Holzstoß an einem Maiskolben geknabbert und nur die Worte „Schule“ und „damals“ gehört. Sie rannten herbei und quiekten: „Erzähl uns nochmals die Geschichte von eurem Lehrer Mausel!“
Papa Korno wehrte ab: „Ach, die hab’ ich euch doch schon so oft erzählt!“ Doch Mehlinchen und Zucko, die mittlerweile auch hinzugekommen waren, bettelten: „Oh bitte, vom Lehrer Mausel, bitte, bitte!“
Papa Korno blieb nichts anderes übrig, er hockte sich seufzend in seine Nestkuhle und begann zu erzählen: „Also ihr wisst ja, dass ich auf einem großen Bauernhof aufgewachsen bin, wo über 200 Mäuse wohnten, im Stall, in den Scheunen und Schuppen. Nun, und dass deshalb für die Mäusekinder eine Art Schule eingerichtet wurde, eine Schule mit zwei Lehrern. Tja und“ — Papa Korno kratzte sich mit dem Hinterbein am Ohr — „tja, und beim Lehrer Mausel hatten wir Mausedeutsch, Körnerrechnen und Katzenkunde.
Der Lehrer Mausel war ein dürrer alter Mäuserich mit abgewetzten Nagezähnen und Schlappohren, und seine Schwanzquaste hatte nur noch drei Haare. Er war überaus geduldig, wenn wir Quatsch machten — und — nun ja, wir spielten ihm jede Menge Streiche.
Am liebsten unterrichtete Lehrer Mausel Katzenkunde — er wusste unheimlich viel über Katzen, zum Beispiel dass sie ihre Krallen einziehen können und die blöden Menschen sie deshalb Samtpfötchen nennen, oder dass Katzenbabys nicht größer sind als Mäuse. Er lehrte uns auch, dass es wuschelige Katzen gibt mit ganz langen Haaren, die unsereins gar nicht für eine Katze hält...“ — „Perserkatzen, gelt!“ rief Schoggel dazwischen, und Papa Korno fuhr fort: „Als Herr Mausel uns schon eine ganze Menge über unsere Todfeinde beigebracht hatte, sagte er eines Tages: „So Kinder, heut’ machen wir mal einen kleinen Ausflug — am Ziel werdet ihr etwas sehr Interessantes sehen!“
Er führte uns viele verschlungene Wege durch den Kuhstall und den Geräteschuppen auf einen alten Heuboden. Dort mussten wir über viele Heuballen klettern — und plötzlich standen wir vor einem weißen Gerippe. „Das ist der Kater Charly gewesen!“ sagte Herr Mausel, „seht, was von ihm übrig geblieben ist, von dem Bösewicht!“ Herr Mausel wies auf die spitzen Reißzähne des Katzenskeletts und sagte: „Mit diesen Zähnen hat das Untier meine Großmutter, zwei Tanten und meinen Bruder Quast gefressen.“ Und mit dem Satz: „Nehmt euch in acht! Hütet euch vor den Katzen!“ wollte Lehrer Mausel den Unterricht in Katzenkunde abschließen — doch in diesem Augenblick geschah es: Das Katzenskelett bewegte seinen knöchernen Schwanz hin und her, ja, es hob den Kopf hoch! Herr Mausel machte einen Riesensatz rückwärts und quiekte entsetzt auf — wir aber lachten uns kaputt! Der Streich war gelungen!
Wir hatten von Mama Salamines großem Bruder gehört, dass Lehrer Mausel in jedem Jahr die Kinder zu dem Katzenskelett führt — und hatten vorher heimlich zwei dünne Fäden an dem Gerippe befestigt, womit wir die Knochen bewegen konnten!“ Papa Korno schmunzelte in Erinnerung an diesen Streich, beugte sich ein wenig zur Seite und gab Mama Salamine einen Kuss.
 

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