5. Onkel
Mausbert
Mehlinchen kuschelte sich gähnend in
ein Eckchen des Nestes
— Mäuse
schlafen tagsüber
— und
ein Sonnenstrahl fiel gerade auf sein
hellgraues Bäuchlein: „Papa Korno, erzähl
jetzt von Onkel Mausbert ! Wie
er in den Gully gefallen ist! Du
hast es versprochen!“ Die Geschwister
nickten.
Papa Korno räusperte sich und wollte
eben anfangen, als sie auf der
Kellertreppe ein Geräusch hörten. „Da
kommt jemand! vielleicht kriegen wir
Besuch?“ sagte Mama Salamine.
Gespannt lugten sechs Mauseköpfe über
den Nestrand.
Und um die Kellerecke kam
— Onkel
Mausbert persönlich.
Das gab eine freudige Aufregung, und
nach ausgiebiger Begrüßung erzählte Onkel
Mausbert selber sein Gullyerlebnis: „Ich
war noch ziemlich klein“, begann er,
„und meine Mutter hatte mir verboten,
alleine aus dem Nest zu gehen.
Aber wie kleine Kinder halt so
sind, ich hörte nicht auf sie,
und als Mama einmal unterwegs war,
kroch ich aus unserem Nest in
einem Komposthaufen ins Freie.“
Onkel Mausbert zuckte plötzlich zusammen,
erzählte aber dann weiter: „Ich
schlüpfte durch einen Zaun und
gelangte auf einen Gehweg; es war
nass, und der Asphaltboden war
schlüpfrig. Ich spazierte den Weg
entlang und schaute neugierig auf
einen silbrigen Punkt, der am Himmel
vorüberzog
— heute
weiß ich, dass es ein Flugzeug
war. Wie ich so ging und nach
oben guckte, verlor ich plötzlich den
Boden unter den Füßen und
— war
in einen Gully gefallen.“
Wieder zuckte Onkel Mausbert zusammen
und fuhr dann fort: „Entsetzlich
erschrocken klammerte ich mich am Rand
des Trichters an einem Holzstück fest
und begann zu weinen. Und zu
weinen begann auch der Himmel über
mir. Es tropfte, immer heftiger
— heute
weiß ich, dass dies Regen ist
— und
schließlich prasselte das Wasser in
den Gully, in dem ich hockte. Am
Rande des Gullys bildete sich ein
kleiner Wasserfall, und ein Wasserbächlein
rann zu mir herab. Schnell stieg
das Wasser im Gully an. Ich aber
umklam-merte weiter das Holzstück und
wurde allmählich mit diesem nach oben
geschwemmt. Als der Gully gänzlich mit
Wasser gefüllt war, schwamm das
Holzstück mit mir oben unter dem
Deckelrost, und ich konnte den Kopf
ins Freie strecken.“
Onkel Mausbert zuckte jetzt sehr
heftig zusammen
— die
Mausekinder wunderten sich sehr, denn
es gab keinen erkennbaren Grund dafür
— setzte
aber seine Erzählung fort: „Erst
später wusste ich, dass ich meine
Rettung nur der Tatsache zu verdanken
hatte, dass der Gully verstopft war
und das Wasser sich staute. Mit
großer Mühe kletterte ich auf den
glitschigen Gullyrost und rettete mich
auf den Weg. Ich war klitschnass
und völlig erschöpft und kaum noch
fähig, zurück ins Nest zu kriechen.
Nun, was meine Mutter zu der
Geschichte gesagt hat, könnt ihr euch
ja denken!“
Alle Mäuslein nickten, und in diesem
Augenblick durchfuhr erneut ein Zucken
den guten Onkel Mausbert, so dass
er seitlich aus dem Nest rutschte.
Kässy fragte: „Warum zuckst du denn
immer so, Onkel Mausbert ?“
— Papa
Korno grinste auf diese Frage, und
Mama Salamine spitzte verlegen ihr
Schnäuzchen.
Onkel Mausbert aber zuckte wiederum,
richtete seine Ohren steil auf und
sagte: „Ja, das ist eine andere
Geschichte!“
— „Erzählen,
erzählen!“ schrieen alle Mausekinder, doch
Mama Salamine war der Ansicht, Onkel
Mausbert sei zu müde von der
weiten Anreise und müsse erst mal
eine Käserinde fressen.
„Morgen werde ich euch aber erzählen,
warum ich immer zucken muss“, sagte
Onkel Mausbert und rollte vielversprechend
seine hervorstehenden Kulleraugen.
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